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Kommunikation

7. Erziehen

Grundlagen

System

Erziehen

1. Problemaufriss

Aufgabe der Schule, so könnte eine allgermeine Definition lauten, ist die Bildung und Erziehung der ihr anvertrauten Menschen. Je nach Alter können wir dann unterschiedliche Bildungs- und Erziehungsstätten unterscheiden:
Denn wenn wir vom lebenslangen Lernen reden, dann wären vom Kindergarten über die Schulen, wie auch die Meisterschulen bis hin zum Seniorenstudium an den Universitäten oder Volkshochschulen alles Bildungs- und Erziehungseinrichtungen. Natürlich unterscheiden sich die Institutionen ganz gewaltig in ihrem "Erziehungsanteil", wenn wir etwa den Kindergarten mit der VHS vergleichen.
Das die letztere Institution mehr bildet als etwa der Kindergarten wird ungeprüft dahin gestellt.

Schauen wir uns einmal den Begriff der Erziehung etwas genauer an: "Was schließt er ein und was aus?"

Gehe ich davon aus, dass ein Mensch als Mängelwesen (Arnold Gehlen) geboren wird, ist er als Kleinkind und Jugendlicher auf die Unterstützung durch die Älteren, die Familie angewiesen..
Die Familie/ die Gemeinschaft bereitet für das Gedeihen des jungen Menschen den Boden. In der Metapher "des Baumes" werden verschiedene Betrachtungsweisen verdeutlicht:
Gehe ich davon aus, dass entweder "böse, ungünstige Anlagen" oder widrige Umstände einen Baum verkümmern lassen, wird sich die Gemeinschaft bemühen, den Baum durch Beschneiden, Anbinden, Unterstützen, Düngen, ... zu einem passablen Mitglied, zu einem passablen Erwachsenen zu formen.
Betrachte ich jedoch einen jungen Menschen so, als ob er in sich alle guten Eigenschaften "zusammen gefaltet" enthielte, dann besteht mein Bestreben als Erwachsener darin, den Boden so zu bereiten, damit sich der Lebens-Faden von selbst "entwickeln" kann. Gesellschaftliche Einwirkungen werden von dieser Grundhaltung dann als "verbiegend, anpassend, beschneidend" bezeichnet.
In der Pädagogik lassen sich Pole dieser Grundhaltungen mit den Schlagworten "Mut zur Erziehung", der "Antiautoritären Erziehung" bzw. "der Antipädagogik" beschreiben.
Alle Extrempositionen enthalten wichtige Einsichten, verleugnen aber die strukturelle Koppelung von individueller Entwicklung und sozialer Funktion.

ueberlegenZum Überlegen:

Aus Ihrer eigenen Erziehung wissen Sie, dass Erziehungsmaßnahmen der Eltern, Erzieher, Lehrer/innen,... oft unerwünscht/ erwünscht waren.

1. In welchen Fällen würden Sie aus Ihrer heutigen Sicht sagen, waren damals die Erzieher zu lasch?
2. In welchen Fällen würden Sie aus Ihrer heutigen Sicht sagen, hier wäre mehr Vertrauen in die Selbstregulation angebracht gewesen?

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2. Erziehung:

ErziehungsbegriffeNach W. Brezinka ist der Begriff "Erziehung" sehr schillernd und enthält sieben, zum Teil sich widersprechende, Bedeutungen:

  1. Erziehung ist ein Prozess.
  2. Erziehung ist Resutat des Prozesses.
  3. Erziehung ist die Tätigkeit des Erziehenden
  4. aber auch des "Zöglings", da er sich "selbst erzieht".
  5. Erziehung ist die Bezeichnung für die Interaktion von Erzieher und "Zögling".
  6. Erziehung ist das Ziel des Pädagogen
  7. Erziehung ist das Ergebnis des Zusammenwirkens von gesellschaftlichen Verhältnissen.

W. Brezinka befreit deshalb den Begriff der Erziehung von der Ungenauigkeit definiert ihn eindeutig.

 

 

Definition: Erziehung ist eine:

...Handlung,durch die Menschen versuchen, die Persönlichkeit anderer Menschen in irgendeiner Weise zu fördern.

...Unter Erziehung werden Handlungen verstanden, durch die Menschen versuchen, das Gefüge der psychischen Disposition anderer Menschen in irgendeiner Hinsicht dauerhaft zu verbessern oder seine als wertvoll beurteilten Bestandteile zu erhalten oder die Entstehung von Dispositionen, die als schlecht bewertet werden, zu verhüten.

W. Brezinka zitiert n. R. Arnold. S. 31

 

Brezinkas Definition der Erziehung rief natürlich heftigen Widerspruch hervor, obwohl er sich mit ihr auch von "Dressur" oder sonstigen fragwürdigen Erziehungsmethoden abgrenzte.

 

frageZum Nachdenken :

Wo stimmen Sie Brezinka zu, wo beziehen Sie Gegenpositionen?

Kritische Pädagogen sehen als Produkt so eines Erziehungsverständnisses den "homo paedagogicus". Dieser Mensch ist als erziehungsbedürftiger von den allen gesellschaftlichen Institutionen abhängig, er vollzieht "... seine Unterwerfung unter fremde Zwecke als seine Eigenleistung (Huisken 1991).

Das Schreckgespenst einer lebenslangen, verschulten Erziehung wird von den Kritikern heraufbeschworen:

  • Ivan Illich fordert deshalb eine Entschulung der Gesellschaft
  • die Antipädagogen z.B. Ekkehard von Braunmühl betonen die "Kinderfeindlichkeit von Erziehung", ein "Verbiegen der Persönlichkeit". Grundlage für ihre kritische Beurteilung des Erziehungsprozesses ist die (psycho-) analytische Untersuchung der Erziehungsgeschichte von Persönlichkeiten mit asozialer Haltung ( vergl. Alice Miller: Untersuchung von Hitler, Stalin,...).

 

Stimmen für Erziehungshandlungen:

  • Erzieherische Begrenzungen von Kindern sind dort zulässig, "wo eindeutig Gefahren drohen,"
  • Grenzziehung ist dort nötig, wo ohne solche Grenzen Menschen verletzt, geplagt, gekränkt werden. Es ist leider nicht so, dass sich Kinder gegen Alte und Kranke stets erträglich verhalten. Es ist auch nicht so, dass sie ihre Konflikte und sozialen Abhängigkeiten stets selbst regulieren können ...
  • Es gibt unter Kindern nicht nur Abhängigkeit und Tyrannei, sondern leider auch sadistisches Quälen und furchtbare Unterdrückung, der der Erwachsene, wo sie ihm sichtbar werden, verhindern muss. (Flitner 1990; zitiert n. Arnold S. 35)

Letztendlich wird im Unterricht auch immer erzogen, doch sollten wir uns bewusst machen, dass die theoretische Begründung für erzieherisches Verhalten auf sehr unsicherem Boden steht.

 

Eine Provokation zum Schluss:

Noch einmal: Es kommt auf die Eltern an!

Nun sind unsere Kinder und Jugendlichen zwar sehr vielen erzieherisch negativen gesellschaftlichen Einflüssen ausgesetzt, aber im Wesentlichen doch den Einflüssen ihrer Eltern. Dabei hat die Anzahl der erziehungsunfähigen und erziehungsunwilligen Eltern inzwischen ein gemeinschafts-schädigendes Ausmaß angenommen. Wenn aber elterliche Erziehung der Schlüssel zum Verhalten der Kinder und Jugendlichen ist, liegt es da nicht nahe, eher Elternforschung als Jugendforschung zu betreiben, eher Elternausbildung zu betreiben als nachholende Erziehung von Kindern zu versuchen, eher bei den Eltern also und bei den Familien als bei den Kindern anzusetzen?
Ja, gewiss! Dort muss man ansetzen! Aber das kann Schule nicht (auch noch) leisten. Deshalb wird sie erzieherisch weiterhin an Symptomen kurieren. dabei muss sie jedoch nicht völlig erfolglos sein. Immerhin gibt es, wie schon oft gesagt, ja auch eine Mehrheit von erzogenen Kindern, die ebenso wie die unerzogenen zahlreichen erziehungs-schädigenden Einflüssen ausgesetzt sind, durch sie aber nicht "verformt" werden. Sie haben eben die besseren Eltern!
Wir müssen es deshalb als Bürger und vermittels Politik schaffen, einerseits die guten Eltern den Kopf hoch tragen zu lassen und andererseits eine Mehrzahl der schlechten Eltern wieder zu ihren Pflichten und Verpflichtungen zurückzuführen! Zwar kann die Schule als Institution diesen gesellschaftlchen Kampf nicht führen, aber sie kann sich mit ihren Mitteln daran beteiligen.

Hensel, H (2005): "Erziehen lernen - Eine Streitschrift wider die Konsenspädagogik" Kallmeyer Verlag, S. 54

Fingerzeig(Hensel bezieht sich in seinen Aussagen vor Allem auf H. Giesecke. "Was Lehrer leisten" bzw. "Ist die bürgerliche Erziehung am Ende?" )

 

Nehmen Sie Stellung zu den Behauptungen!

 

Unter dem Stichwort Lehrerpersönlichkeit finden Sie weitere Hinweise für gelebte "Erziehungsideale".

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3. Bildung

"Vielwisserei lehrt nicht Verstand haben"
Heraklit (rd. 500 v. Ch.)

Ebenso wie Erziehung ist Bildung ein recht unscharfer Begriff, der innerhalb der deutschen Pädagogik eine lange Entwicklungsgeschichte hinter sich hat:

Vermögenspsychologische Begründung Wie der Körper, wird auch die Seele durch Übung geformt. Die einzelnen Disziplinen bilden das Übungsfeld zur Ausbildung der seelischen Kräfte: Verstand, Gemüt, ...
Pädagogische Literatur um 18-hundert Die Theorie der formalen Bildung gerät in die Kritik: "der Verstand der Grammatik bleibt in der Grammatik; der Verstand der Mathematik bleibt in der Mathematik, der Verstand jedes anderen Faches muss sich in diesem andere Fache bewähren". (Herbart).
Ein Transfer zwischen den Fächern wird ausgeschlossen. Mit Humboldt lässt sich zusammenfassen: "jede Form kann nur an einem Stoff geübt werden!" Form und Stoff bedingen sich also wechselseitig.
Pädagogische Literatur im Verlauf des 19-Jahrhunderts Das Subjekt (n. Nohls) "erarbeitet sich den Stil seines Lebens", gibt sich selbst Form. Der Schüler bezieht die Bildungsgüter (materiale Bildung) auf sich und bezieht sie in sein Leben ein (formale Bildung).
Verallgemeinerungen: Kategoriale Bildung (Klafki, Blankertz) Bildung erschließt die Lebenswirklichkeit und stellt dem Menschen für die "objektiven" Anforderungen des Lebens Mittel zur Verfügung. Den "subjektiven" Bedürfnissen wird eine formale Bildung gerecht .
Dialektik von Inhalt und Form Ergebnisse der modernen Transferforschung zeigen, dass durchaus ein Übertrag von einem Wissensbereich zum anderen möglich ist.

Wie sich an dieser kurzen Skizze zeigen lässt, hat der Bildungsbegriff seine Wurzeln in dem "Topos: Erziehung der seelischen Kräfte". Da diese nicht unmittelbar zugänglich sind, wird die Seele, das Gemüt, ... über Fachgebiete "erzogen": "Latein schult das logische Denken, ..."
Heute ersetzt, zugespitzt ausgedrückt, "die Gesellschaft, Bedingungen des Arbeitsmarktes (technische Bildung, Fachwissen,...), Erwerb formaler Schlüsselqualifikationen, usw." den Begriff Seele.
Die Bedürfnisse des Schülers und damit verbunden, auch die eigene Verantwortung für seine "Selbstbildung", treten dabei stärker in den Vordergrund. Da seit Kant die persönliche und politische Emanzipation bzw. die damit verbundene Aufforderung "sich seines Verstandes zu bedienen" mit dem Bildungsbegriff verbunden ist, hat der moderne Bildungbegriff auch eine gesellschaftskritische Funktion.

Mit dem Bildungsbegriff als Grundlage ihrer Arbeit geben sie also nicht ihren Erziehungsauftrag auf, sondern sind dafür verantwortlich, dass Schüler sich selbst bilden und damit auch erziehen. Sie erziehen die Schüler zur Selbstbildung.

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Literatur:

Arnold, R. (2000): "Zugänge zur Pädagogik" Schriftenreihe. Päd. Materialien der Universität Kaiserslautern, Heft Nr. 9
Haller, H.-D. ; Meyer, H. (1986; Hrsg.): "Enzyklopädie Erziehungswissenschaft" Klett-Cotta, Bd.3
Hensel, H (2005): "Erziehen lernen - Eine Streitschrift wider die Konsenspädagogik" Kallmeyer Verlag
Nyssen, E. &. Schön, B. (Hrsg.;1995): "Perspektiven für pädagogisches Handeln - Eine Einführung in Erziehungswissenschaft und Schulpädagogik" Juventa

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