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Die Lehrerpersönlichkeit

- Hinweise &. Ergänzungen -

Persona

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Inhalt:
  1. Problemaufriss: "Mal sehen, ob der Typ echt ist ...."
  2. Quellen zu: Der Lehrer als Erzieher
  3. Heinrich Geißler: Der Lehrer: Lehrerrolle, Rollenvielfalt, Rollenkonflikt
  4. Christian Caselmann: Wesensformen des Lehrers
  5. Arno Combe: Kritik der Lehrerrolle
  6. Otto Friedrich Bollnow: Über die Tugend des Erziehers
  7. Eduard Spranger: Der geborene Erzieher
  8. Bauer, Kopka &. Brindt: Pädagogische Professionalität und Lehrerarbeit
  9. Hermann Giesecke: Das Ende der Erziehung
  10. Rainer Winkel: Die Persönlichkeit des Lehrers
  11. Hans Christian Thalmann: Den Schulalltag bestehen.
  12. Reinhard Tausch &. Anne-Marie Tausch : Wesentliche Verhaltensdimensionen von Lehrern, Dozenten, Erziehern in Erziehung und Unterricht
  13. Kurt Lewin: Die Lösung sozialer Konflikte
  14. Die Geschichte von Hans Hefeteig

 


1. Problemaufriss: „Mal sehen, ob der Typ echt ist ...“

Vom Dialog zwischen Leerkörpern und tobendem Leben

 

18 Monate Referendariat liegen hinter mir - Szenen einer Verschulung? Innehalten an einem nebligen Winterwochenende.

"Am Glanz der Augen mißt man das Maß der Freiheit und die Tiefe der Kultur bei einem guten Arbeiter, der es verdient, als guter Erzieher gekennzeichnet zu werden ", hat ein alter Schafhirte vor vielen Jahren mal zu dem französischen Volksschullehrer Freinet [1] gesagt.

Am Glanz der Augen?  Müde war ich anfangs oft in diesem Referendariat: todmüde, müde aus Verdrängung - manchmal nach 2 Stunden Schule so kaputt wie früher nach 8 Stunden auf dem Bau während der Semesterferien.

Nach dem ersten Schulwechsel dann der emotionale Durchbruch: ermutigende Begegnungen mit älteren Kollegen, die ihre Träume von "menschlicherer Schule" auch nach 10 oder 20 Dienstjahren noch partisanenhaft verfolgend ... mit "Sonder"-Schülern, die - ihrem offiziell verliehenen Etikett "verhaltensgestört" zum Trotz - ihre zutiefst menschliche Sehnsucht nach Anerkennung und Selbstachtung mit einem verzweifelten Stolz verteidigten, dessen Intensität die eigentliche "Gestörtheit" ihrer Wohn-, Familien- oder Schul- "Verhältnisse" nur erahnen ließ.
Dieses "tobende Leben" in der Schule [3], das mich bald wie ein Sog erfaßte und unerwartete Energien freisetzte, erschien mir jedoch von Anfang an als etwas Subversives etwas, das den geplanten Strukturen von Schule konträr entgegenstand.  Diese geplanten Strukturen begegneten mir in Lernzielbestimmungen, didaktischen Analysen, Motivationsformeln und minutiösen Unterrichtsvorbereitungen - häufig nichts weiter als hilflose Versuche, menschliche Begegnungen im Klassenzimmer - wenn schon nicht zu verstehen - so doch wenigstens zu beherrschen.

,Aus der Trennung von Lernenden und Lehrenden entsteht Unmenschlichkeit" [4] , hat der brasilianische Volkspädagoge Paulo Freire mal gesagt.  Diesen Entstehungsprozeß sollten wir uns bewußtmachen, auch wenn wir uns erst im Stadium der zivilisierten Sprachlosigkeit befinden.

Dabei geht es mir am allerwenigsten darum, eine neue kommunikative Technik zu entwerfen.  Mir geht es vielmehr um die Entwicklung eines Bewußtseins, das mir in meinem widersprüchlichen Alltag auch dort hilft, wo der widerspruchsfreie Erklärungswert mancher Gesellschaftsanalyse, pädagogischer Theorie oder kultusministerieller Lehrplanbestimmung endet.  Wo beispielsweise Informationen über die Sozialisationsbedingtheit der besonderen Äußerungsformen meiner Schüler genausowenig Nähe herstellen wie "Der Schüler soll ..." - Lernzielformulierungen. Über so einen Prozeß des Nähe-Herstellens als einem spannenden Dialog zwischen Schülern wie zwischen Lehrern und Schülern will ich nachdenken und dabei verstehen lernen, welche konkreten Bedingungen im Raum Schule bislang eher ohnmächtiges Anbiedern oder autoritäres Befehlen begünstigen.
Während meiner universitären Lehrerausbildung bin ich trainiert worden, Schüler zu sezieren - prozentuales Leistungsgefälle, Intelligenzquotient, Analphabetenquote.  Dies hat zwei nachteilige Konsequenzen: erstens verliere ich aufgrund des universitären Scheinengagements für die benachteiligten Schüler manche Zugänge zu meiner eigenen, lebensgeschichtlich gewachsenen Freude an der Arbeit mit Kindern - zum zweiten besteht zunehmend die Gefahr, selber zum Analphabeten zu werden, was das alltägliche Verständnis für die Sprache meiner Schüler angeht.
“Distance all over.”
Im Referendariat wird dieser Ansatz, für die Schüler zu denken (und nicht etwa mit ihnen) "praxisnah" ausgebaut:
Wie kann ich die Schüler für meinen Unterricht "motivieren"?  Wie kann ich die Schüler von "ihrem Besten" überzeugen?  Wieso wehren sich die Schüler so nachhaltig, dieses für sie "Beste" anzunehmen?  Welche Anmaßung in so einem Denken steckt, wird nicht etwa durch die Umkehrung deutlich: Es ist natürlich nicht sinnlos, sich viel Mühe zu geben, um einen möglichst lebendigen Unterricht zu machen oder gar über die Interessen der Schüler nachzudenken.
Die Unmenschlichkeit besteht in der Unfähigkeit, sich über diese Gedanken mit den Betroffenen auszutauschen - unmenschlich für Schüler wie für Lehrer gleichermaßen.  Weil beide sich nicht wahrgenommen fühlen, weil beide ihre positiven Ansätze abgelehnt fühlen, weil beide nicht in der Lage sind, ihre unterschiedlichen Interessen so darzustellen, daß der andere damit etwas anfangen kann:
Was sagt uns denn schon das manchmal stundenlange Bankgekritzel unserer Schüler, ihre "Zombi"- und sonstigen Horrorphantasien, ihr Eindrücken von Fensterscheiben in der Pause, einfach so?
Oder andererseits ihre große Ernsthaftigkeit bei tatsächlichen Problemen (ein Mitschüler ist von zu Hause ausgerissen) oder im Umgang mit "echten" Dingen (die Reparatur eines alten Transistorradios)?
 Wenn Lehrer berichten, daß Schüler bei ersten ernstgemeinten Nachfragen mit Sprüchen wie , Kein Bock zu gar nichts!" antworten, dann sagt dies mehr über gegenseitigem Mißtrauen aus als über die tatsächliche Unkenntnis der eigenen Bedürfnisse.
Zum Mißtrauen besteht schließlich auch Grund genug: Unsere vorsichtigen, menschenfreundlichen Gesten ändern nämlich erstmal grundsätzlich nichts an den hierarchischen Strukturen von Schule, die Schüler einteilen in gute und schlechte Menschen, in eine "3-Klassen-Gesellschaft" (oder 4-Klassen, wenn man die schon fast aus dem Bewußtsein verdrängten Sonderschulen mitzählt) und die dadurch an zehn- und e1fjährige Kinder häufig nie mehr korrigierbare Berufs- und Lebenschancen verteilen.
Wir müssen also gleichermaßen mehr und weniger tun: Es reicht nicht, in unserer Sprache Schülerinteressen hinterfragen zu wollen, ohne den Schülern gleichzeitig unsere Lehrerinteressen mitzuteilen.  Und die sind in der alltäglichen Begegnung auch beim engagiertesten Lehrer nicht durchgängig die gleichen wie die der Schüler – können es faktisch in unserer Schulhierarchie nicht sein.  Die aktuelle Vermittlung eigener Bedürfnisse auf faire Weise (halt so, wie ich es mir von meinen Schülern auch wünsche) ist im widersprüchlichen Alltag jedenfalls fundamentaler als eine solidarische Perspektive mit der Arbeiterschaft im allgemeinen.

Weniger tun sollte man dagegen bei der zunehmenden Pseudo-Verwissenschaftlichung unserer Lehrerrolle: Es gibt nicht jenen verhaltenstherapeutisch geschulten, ewig freundlich bleibenden Lehrerprototyp, den anzustreben den meisten Erfolg im Unterricht sichert.

Lehrer dürfen wie Schüler auch mal "stinksauer" sein, wenn ihnen danach zumute ist; sie dürfen auch ihre Begeisterungen und Enttäuschungen haben und vor allem: sie dürfen auch manchmal Schüler sein - Fragen stellen, nichts verstehen, eine Woche nachgrübeln und dann mit neuem Mut probieren.

Während meines Referendariats habe ich die Sehnsucht der Schüler nach echten menschlichen Begegnungen zu spüren bekommen und gleichzeitig: daß es aus dem Dickicht der beschriebenen zivilisierten Sprachlosigkeit keine Asphaltstraße hinaus gibt, sondern nur einen gemeinsam erarbeiteten Weg - gebaut aus den Möglichkeiten, die dieser Dschungel uns bietet.

Bei diesem Prozeß ergeben sich zahlreiche Situationen, für die keine didaktische Analyse Hilfestellung gibt, sondern die Stück für Stück erfahren werden müssen:

Wenn ich anfange, meinen Alltag anders zu sehen, dann gelingt es zunehmend, die dahinterstehenden Bedürfnisse zu übersetzen: "Können wir uns in dieser anonymen Welt auf dich verlassen? Hältst du dich an das, was du uns versprichst und bist in der Lage, dies auch gegen widerstreitende Meinungen in der Klasse durchzusetzen (im Guten wie im Bösen) ? Stehst du bei Konflikten mit Dritten auf unserer Seite, auch wenn wir diejenigen waren, die ‚Scheiß gebaut‘ haben?  Bist du ansprechbar für uns und bemühst dich auch darum, uns zu verstehen?'

Diesen Prozeß als Übersetzungsvorgang zu begreifen und nicht als schlichte Übertragung, wäre jedenfalls schon ein erster Schritt. Es ist dies letztlich nichts anderes als das, was wir uns auch in anderen menschlichen Begegnungen wünschen: trotz verschiedener Lebensgeschichten sich doch zu verstehen und dies gerade dadurch, daß die andere Lebensgeschichte auch als solche geachtet und anerkannt wird - soziale Verantwortung und Selbstbestimmung.

Noch einmal zurück zu unseren Lehrerinteressen: Ich fürchte, daß da noch mehr diffuse Unbehaglichkeiten und Verdrängungen bestehen als bei unseren Schülern.  Während jene doch ab und zu noch zu solidarischen Aktionen in der Lage sind (seien sie auch gegen die Pauker gerichtet), haben erschreckend viele Kollegen ihre Einzelkämpferrolle akzeptiert.
Es ist doch realiter nicht nur unser selbstloser Wunsch: " Du sollst das jetzt als Schüler lernen, weil das gut für dich ist!", sondern davor stehen unsere nicht bewußt angenommenen eigenen Bedürfnisse: "Ich möchte als Lehrer auch das Gefühl haben, etwas zu können und Anerkennung bekommen!  ". . . und erst dann kann ich dich auch als Schüler annehmen: "Ich will was mit dir entdecken, ich will dich stärker machen und dabei auch mich selber entwickeln!'
Es sind doch nicht zuerst die Papierfetzen und Apfelsinenschalen, die manche Klasse so unbehaglich machen, sondern die kasernierte Sterilität, das pflegeleichte und abwaschbare, jedoch absolut nicht gestaltbare Mobiliar, die fehlenden Rückzugsmöglichkeiten für Schüler wie Lehrer. Und die Versuchung, sich in einem Käfig gegenseitig zu zerfleischen ist naturgemäß groß.
Was müßte sich in meinem Klassenraum ändern, damit ich mich freuen kann, wenn ich morgens herein komme?  Welche räumlichen Möglichkeiten sind Voraussetzung, um nicht jedes "Unruhigsein" der Schüler, jede ungeplante Situation als drohendes Chaos zu empfinden?
Wie muß sich mein Zeitbewußtsein ändern, um Zeit nicht mehr nur als technische 45-Minuten-Einheit zu begreifen, sondern als anarchisch-lebendiges Vor- und Zurück , als bunte Vielfalt eigenständiger Persönlichkeiten, als widersprüchliche Entwicklung, in der ich, weil ich um meinen Platz in diesem Prozeß weiß, Zeit verschwenden darf, um wirkliches Verstehen zu gewinnen?
Wollen wir "gute Arbeiter" werden, die es verdienen, als gute Erzieher gekennzeichnet zu werden, so benötigen wir gutes Handwerkszeug: Wir sollten erst mal dazu stehen, daß die wenigsten von uns während der Ausbildung etwas vermittelt bekommen haben, das dazu taugt, Kinder zu begeistern, etwas Schönes selber zu machen, Kinder auch selbstbestimmt arbeiten lassen zu können, ohne jeden Überblick zu verlieren.

Um so mehr sollten wir uns bemühen, die wenigen bisher existierenden Versuche alternativer Schulen oder alternativen Projekte in traditionellen Schulen kennenzulernen, ihre methodischen Ansätze (von Freinets Drucktechniken bis zu Montessori-Materialien) zu überprüfen und gegebenenfalls in unserer Schulwirklichkeit auszuprobieren.  Je konkreter wir unsere Arbeitsweisen und Lernzusammenhänge uns dabei gegenseitig vermitteln, desto stärker wird auch das Zutrauen vieler Kollegen werden, sich auch "Handwerkszeug" zuzulegen, ohne vorher mehrere Grundkurse in theoretischer Schulung über sich ergehen lassen zu müssen. In selbstbestimmten Lernprozessen (egal ob bei Schülern oder Lehrern) wächst die Theorie ohnehin mit der Praxis und nicht in abstrakter Isoliertheit.

" Verlaßt die Kanzel und nehmt das Werkzeug", schloß der französische Schafhirte seine Rede an Célestin Freinet.  Ihr Lehrer seid mehr als andere durch die formellen Anforderungen eures Berufes geprägt.  Jede Aufgabe, die ihr korrigiert, jeder Strich mit roter Tinte, jede Lektion, die ihr wiederholt ... jede großzügig verteilte Strafe gräbt in euch ihre unauslöschbare Spur.

Verlaßt die Kanzel und nehmt das Werkzeug! Seid alles zugleich. Arbeiter, Gärtner, Techniker, Spielleiter und Dichter, lernt wieder zu lachen und zu fühlen.

Lutz van Dick

Literaturhinweis:

[1] Freinet, Célestin: Pädagogische Texte, Reinbek 1980, S. 24; ein spannendes Buch mit vielen aktuellen Beispielen aus der Arbeit nach Freinet.

[2] Vgl. auch: Düsterbeck, Harald/ van Dick, Lutz: "Eigentlich hätte ich schon Bock, das zu begreifen.  Erfahrungen mit dem Lernwillen von "Problemschülern" der Hauptschule in einem sonderpädagogischen Integrationsprojekt; in: Westermanns Pädagogische Beiträge 12/ 1980, S. 494-500.

[3]Dieses Zitat ist dem sehr "alltagsbewußten" Buch von Hildburg Kagerer entnommen: In der Schule tobt das Leben - Eine 10.  Hauptschulklasse und ihre Lehrerin machen sich zum Thema, Berlin 1978.

[4]Aktuelle Hintergrundinformationen hierzu in: Freire, Paulo: Dialog als Prinzip.  Wuppertal 1980.

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2. Quellen zu: Der Lehrer als Erzieher

1. Quelle :Johann Amos COMENIUS (1592 - 1670)

Pampaedia (hrsg. und übers. v. J. Tschizewskis, Heidelberg 1960, S. 171) :
„Auf drei Voraussetzungen muß man bei der Wahl des wahren Lehrers des Ganzen sorgfältig achten :

  1. Jeder soll so sein, wie seine Schüler werden sollen.
  2. Er soll die Kunst beherrschen, sie so machen zu können, und
  3. soll er eifrig am Werke sein.“

....

Zur Erläuterung der ersten Voraussetzung heißt es : „Diese Menschenbildner (formatores hominum) sollen also besonders erlesene (selectissimi) Menschen sein... Wie sie wünschen wir uns das Volk der Endzeit : erleuchtet, friedvoll, gläubig, heilig...“

Zur Erläuterung der zweiten Voraussetzung heißt es : „Um erfolgreich wirken zu können, müssen diese Lehrer

  1. Alle Aufgaben und Ziele ihres Berufes (vocatio) kennen,
  2. alle Mittel die dazu nötig sind, und
  3. die ganze Mannigfaltigkeit der Methoden (methodi).“

2. Quelle: Wilhelm DILTHEY (1833 - 1911):

Grundlinien eines Systems der Pädagogik, Leipzig 1934, S. 201 f.

3. Quelle: Georg KERSCHENSTEINER (1854 - 1932):

Die Seele des Erziehers und das Problem der Lehrerbildung, Berlin, 1930, S. 48 f.

4. Quelle: Klaus W. DÖRING:

Lehrerverhalten und Lehrerberuf. Zur Professionalisierung erzieherischen Verhaltens, Weinheim, 1970, S. 10

Arbeitsaufgaben:

  1. Arbeiten Sie innerhalb ihrer Gruppen heraus, welche Vorstellungen die einzelnen Autoren jeweils von der Lehrerpersönlichkeit haben. Bearbeiten Sie dazu nach Absprache zwischen den Gruppen jeweils zwei Texte pro Gruppe und zwar: Nach Wahl eine der Quellen 1, 2, oder 3 und dazu obligatorisch die Quelle 4.
  2. Überlegen Sie, welche Vorstellungen von Lehrerpersönlichkeit Sie nach Ihrem eigenen Verständnis einer Erzieherpersönlichkeit bei den vorgezeigten Quellen mittragen könnten und welche nicht.
    Begründen Sie Ihre Auswahl.
  3. Belegen Sie Ihre nach Arbeitsaufgabe 2 getroffene Auswahl durch Beispiele aus Ihrer Praxis.

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3. Geißler: Der Lehrer - Lehrerrolle, Rollenvielfalt, Rollenkonflikt

1) Wie versteht sich ein Lehrer?

 

Diese Fragen sind, selbst wenn die eine oder andere heute wieder besonders populär geworden ist, allesamt alt (1). Teils wurden sie explizit in heftigen Entgegensetzungen  diskutiert, teils fanden sie mehr eine implizite Behandlung. Dabei kam es mitunter zu bemerkenswerten Gegensätzen. So hing beispielsweise das bekannte Bild Pestalozzis in Stans. Beispiel des Lehrers als Anwalt des Kindes, jahrzehntelang in sehr vielen Schulklassen, doch wohl als Aufforderung an die Lehrer, es diesem Vorbild gleichzutun. Zur selben Zeit war indes die Schulgesetzgebung im wesentlichen darauf ausgerichtet, im Lehrer einen Beauftragten des Staates zu sehen und ihn sehr eng an Reglementierungen zu binden. Oder ein anderes Beispiel: Die Lehrplanentwicklung der höheren Schule im letzten Jahrhundert hatte, im deutlichen Gegensatz zu Humboldts Konzeption, der Vermittlung von Tradition den Vorzug gegeben. Dem war durch die Reformpädagogik, durch Nietzsches Schulkritik angestachelt, das Eigenrecht des Kindes entgegengehalten worden. Oder: Während bei uns die Elternrechtsdiskussion stark im Deklamatorischen blieb, hat die ganz anders geartete angloamerikanische Schulorganisation Lehreranstellung wie Lehrerentlassung stets als ein direktes demokratisches Verfahren interpretiert (Schulgemeinde) und damit dem elterlichen Mitspracherecht umfangreiche Wirkungsmöglichkeiten eingeräumt. Schließlich: Selbst in den verschiedenen Schulformen haben sich divergierende Auffassungen über den Lehrer und seine Aufgabe niedergeschlagen. So lag das besondere Pathos des ehemaligen Volksschullehrers, bei aller organisatorischen Einschränkung der Möglichkeiten, vornehmlich in einer Förderung der Schüler, weniger in der Auslese. Dagegen war der Gymnasiallehrer von seinem Selbstverständnis her viel deutlicher auf Auslese ausgerichtet, nämlich jene Schüler auszuwählen, die sich im Umgang mit wissenschaftlichen Inhalten bewährten. In der Literatur war es deshalb üblich geworden, den pädagogisch besonders qualifizierten Lehrer mehr im Bereich der Volksschule anzusiedeln - man vergleiche die einschlägigen Schriften aus der Zeit der Reformpädagogik über den „geborenen Erzieher“ (2) oder „die Seele des Erziehers“ -, den Gymnasiallehrer dagegen mehr in die Nähe eines Professors zu rücken, der zuerst der Wissenschaft verpflichtet ist. Die Landerziehungsheimbewegung (3) hatte diese Trennung aufzuheben versucht und war bemüht, auch in weiterführenden Schulen den Erziehungsaspekt stärker hervorzuheben.
Diese Diskussion über das Selbstverständnis des Lehrers ist heute noch längst nicht abgeschlossen. Sie wurde indes teils zurückgedrängt, teils vergessen, besonders aber überlagert durch eine Diskussion, die zunächst einmal gar nicht genuin pädagogischer Natur ist, sondern soziologischer, nicht nur auf die Situation des Lehrers zutrifft, sondern für alle Berufe. Das ist die Diskussion um Begriff und Sache „Rolle“ (4), und die Behauptung, wir seien eine „Rollengesellschaft“.

3)Übertragen wir die Grundbezüge des Rollenkonzeptes auf die „Lehrerrolle“ (5), so zeigt sich sofort, daß der Lehrer innerhalb eines mehrteiligen Geflechts von Bezugsgruppen steht, die unterschiedliche Erwartungen  an ihn haben:

Beeinflussung 

4) Der Lehrer steht, wie jeder andere Berufsausübende auch, nicht nur im Bezugssystem einer einzigen Rolle .Er ist, nimmt man das bekannte Beispiel Dahrendorfs (7), außerdem wahrscheinlich Familienmitglied, vielleicht Angehöriger einer Kirchengemeinde, eines Vereins, einer politischen Partei. So wichtig und bedeutsam solche ergänzenden Verpflichtungen auch sein mögen, sie bringen sicherlich zusätzliche Spannungen mit, die man in der Sprache der Rollentheorie Interrollenkonflikte (8) nennt. So beschränken mit der einen Position immer verbundene zeitliche Belastungen die Möglichkeiten des Engagements bei einer anderen. So können weltanschauliche Aussagen in einer Kirchengemeinde auf eine mehrheitlich anders orientierte Staatspolitik treffen. So können die weltanschaulichen oder politischen Vorstellungen der eignen Kinder von denen der selber als Lehrer tätigen Eltern differieren, was zu Spannungen zwischen den in den Unterricht einfließenden Wertmustern und Teilen der eigenen Lebenspraxis führt.

Problematischer sind indes die sogenannten Intrarollenkonflikte (9), die durch unterschiedliche Erwartungslagen der verschiedenen Bezugsgruppen innerhalb des Berufs selber auftreten. Einige Beispiele:

Damit sind wir dann wiederum bei den eingangs genannten, zuerst von Hermann Nohl (10) formulierten Fragen: In wessen Namen versteht sich der Lehrer zuerst? Jetzt freilich etwas modifiziert: Wie löst er diese Konflikte? Schlägt er sich einfach auf eine Seite, oder hält er sich durch Rückzug auf fachspezifische Inhalte nach Möglichkeit überhaupt aus solchen Konflikten heraus?
Spätestens an dieser Stelle wird deutlich, daß der Lehrerberuf ein offensichtlich sehr spannungsgeladener ist. Höchst unterschiedliche Erwartungen verschiedener Bezugsgruppen bringen den Lehrer unter Belastungen, die der nicht sieht, der den Lehrer einfach als Fachlehrer, daß heißt als Fachmann für fachliche Informationen , interpretiert. Spätestens hier zeigt sich dann aber auch, daß die aus dem Funktionalismus abgeleitete Polyvalenzthese von einem sehr fragwürdigen Optimismus ausgeht und von Naivität nicht frei ist. In ihrer Konsequenz wird eine berufsorientierte frühe Praxiserfahrung nämlich zu lange aufgeschoben. Das ist aber nur dann gerechtfertigt, wenn man von der Annahme ausgeht, als ob jeder für den Lehrerberuf taugen würde, wenn er nur wolle. Der vielberedete Praxisschock zeigt allerdings deutlich in eine andere Richtung. Der junge Lehrer erfährt in der Regel zu spät die tatsächlichen Belastungen dieses Berufs. Für den Wechsel in einen anderen Beruf ist es dann meist bereits zu spät. Man arrangiert sich mit der Situation durch eine Art von Abkapselung, daß heißt, Vermeidung von Konflikten durch Rekurs auf ein einziges Rollensegment, weil man nicht zeitig genug gelernt und erfahren hat, der Vielfalt der Erwartungen gerecht zu werden und sich darauf einzustellen. In der Sprache des interaktionstheoretischen Rollenkonzepts: Diese Lehrer können ihre eigene Identitätsbalance nur dadurch festhalten, daß sie sich den vielfältigen Erwartungen der Bezugsgruppen gegenüber reserviert verhalten:

Gegenüber diesen Gefahren muß die Mehrdimensionalität des Lehrerberufes deutlich herausgestellt werden und damit die entschiedene Forderung an die Lehrerbildung, auf diese mehrteilige Aufgabe rechtzeitig vorzubereiten. Über diese Mehrdimensionalität der Lehrrolle (11) informiert das Schema.
Lehrerrolle  

Damit sind die Gegensätze gekennzeichnet:

Unter solchen Entgegensetzungen erst gewinnen die als Intrarollenkonflikte deklarierten Alltagsprobleme des Lehrers besondere Bedeutung, nämlich durch die Spannungen zwischen

Verstärkung des Erzieherischen muß indes nicht auf Kosten solider Wissensvermittlung geschehen. Es gibt, wie im Abschnitt „erziehender Unterricht“ schon dargelegt, eine Konzeption von Unterricht, in der sich beide Positionen zwar nicht reibungslos miteinander verbinden lassen, indes doch eine deutliche Verschränkung sichtbar wird:

Bedingung für einen solchen „erziehenden Unterricht“ ist freilich,

 

Wenn heute, wie oft geklagt wird, sich viele Lehrer hinter ihrer Sachautorität verschanzen, um überhaupt einigermaßen Kontrolle über die Vorgänge in ihrer Klasse gewinnen zu können, sich also deutlich unter Weglassung ihrer erzieherischen Aufgabe auf die Funktion des Fachlehrers konzentrieren, dann zeigt dies deutlich mangelnde Voraussetzungen für einen „erziehenden Unterricht“ an.
Alle diese Fragen lassen sich in einer zentralen zusammenfassen: Ist - und wenn ja, wie - „erziehender Unterricht“ (27) möglich, wie muß er beschaffen sein, und wie müssen Lehrer ausgebildet werden, damit sie erziehenden Unterricht zu organisieren in der Lage sind?

Erziehung (im weiteren Sinne) im Raum der Schule hat drei wichtige Teilbereiche:

Unterricht soll so organisiert sein, daß seine Atmosphäre, über die Gestaltung des Unterrichtsverlaufs vermittelt, zur Stärkung des Selbstwertgefühls des Schülers, zur Herstellung einer ausgeglichenen Identitätsbalance und einer angemessenen Ich-Stabilität beiträgt.

Erich E. Geißler (1983):
Allgemeine Didaktik. Stuttgart, 2.Aufl. 1983

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